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Wissenschaften

Indica vs. Sativa: Was steckt wirklich hinter den Namensbezeichnungen?

Photo by Esteban López on Unsplash

Jeder, der sich mit Cannabis beschäftigt, hat schon gehört, dass Sativa aufmuntert und Indica entspannt. Doch so einfach ist es nicht. Die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse zeigen, dass die Unterschiede zwischen Indica und Sativa weit weniger eindeutig sind, als man bisher dachte.

Cannabis ist eine der ältesten Kulturpflanzen der Menschheit. Seit Jahrtausenden wird die Pflanze für Lebensmittel, Fasern, Medizin und ihre psychoaktiven Wirkungen genutzt. Heute, etwa 12.000 Jahre nach der ersten Ernte, ist die globale Cannabisindustrie mehrere Milliarden wert. Für moderne Konsumenten, die in Ländern leben, in denen Cannabis legal ist, gibt es eine schier unendliche Auswahl an Sorten – über 700 Züchtungen sind inzwischen verfügbar.

Trotz dieser Vielfalt werden Cannabisprodukte im Wesentlichen in zwei Kategorien unterteilt: Indica und Sativa. Diese Klassifizierung hat sich so tief in den Köpfen der Konsumenten verankert, dass sie in vielen Verkaufsstellen weltweit als Standard gilt.

Doch was sagt die Wissenschaft dazu? Aktuelle Studien legen nahe, dass diese Unterscheidung oft nicht viel mehr als ein Etikett ist. Es gibt keine signifikanten chemischen oder genetischen Unterschiede zwischen Indica und Sativa, die die angeblich unterschiedlichen Wirkungen erklären würden.

Die Geschichte hinter den Namen

Die Begriffe „Indica“ und „Sativa“ gehen auf das späte 18. Jahrhundert zurück, als der französische Biologe Jean-Baptiste Lamarck vorschlug, Cannabispflanzen nach ihrem Aussehen zu klassifizieren. Indica-Pflanzen wurden als kürzer und robuster beschrieben, mit dickeren Blättern, während Sativa-Pflanzen größer und schlanker sind.

Doch das äußere Erscheinungsbild einer Pflanze sagt wenig darüber aus, ob sie – wie bei Indica vermutet – eine entspannende Wirkung hat oder – wie Sativa nachgesagt wird – eine belebende. Entscheidend ist vielmehr die chemische Zusammensetzung der Pflanze. Neurowissenschaftler wie Nick Jikomes, ehemaliger wissenschaftlicher Leiter bei Leafly, betonen, dass die Wirkung von Cannabis vor allem durch die in der Pflanze enthaltenen chemischen Verbindungen bestimmt wird und nicht durch ihr äußeres Erscheinungsbild.

Warum die Etiketten irreführend sein können

Ein großes Problem mit der herkömmlichen Indica/Sativa-Klassifizierung ist, dass sie wenig über die tatsächlichen Wirkungen einer Sorte aussagt. Cannabiszüchter sind nicht an strenge Namenskonventionen gebunden, wie es beispielsweise bei Wein oder Käse der Fall ist. Jeder kann eine Sorte beliebig benennen, unabhängig von ihrer chemischen Zusammensetzung. Das führt dazu, dass die Etiketten, die uns in den Läden begegnen, oft wenig aussagekräftig sind.

Studien haben gezeigt, dass Sativas nicht zwangsläufig mehr Tetrahydrocannabinol (THC) enthalten – die Substanz, die für das typische „High“ verantwortlich ist – als Indicas. Auch andere Cannabinoide und Terpene, die für den spezifischen Effekt einer Sorte entscheidend sind, unterscheiden sich oft nicht so deutlich, wie es die Namen vermuten lassen.

Ein neuer Ansatz zur Klassifizierung

Statt Cannabis nach seinem Aussehen zu klassifizieren, schlagen Wissenschaftler vor, die Sorten nach ihrer chemischen Zusammensetzung zu bewerten. Jede Cannabispflanze enthält etwa 540 verschiedene chemische Substanzen, darunter über 144 Cannabinoide und zahlreiche Terpene. Diese Verbindungen bestimmen, wie eine Sorte auf den Körper wirkt.

Ein modernes Etikettierungssystem könnte daher ähnlich wie die Nährwertangaben auf Lebensmittelverpackungen aussehen: Es würde die wichtigsten Cannabinoide und Terpene sowie deren Mengen aufführen. Terpene, wie Myrcen oder Limonen, spielen eine große Rolle für den Geschmack, das Aroma und möglicherweise auch die Wirkung der Pflanze. Sie könnten helfen, die Wirkung einer Sorte genauer vorherzusagen.

Warum das alte System trotzdem bleibt

Trotz der wissenschaftlichen Fortschritte wird die einfache Unterscheidung zwischen Indica und Sativa wohl weiterhin bestehen bleiben. Warum? Weil sie für viele Konsumenten leicht verständlich ist. Ob jemand ein „aufputschendes“ oder „beruhigendes“ Erlebnis sucht – die Begriffe Indica und Sativa bieten eine schnelle und einfache Orientierungshilfe.

In der Realität suchen die meisten Konsumenten nach dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis und lassen sich weniger von genauen chemischen Analysen leiten. Und solange das so bleibt, wird auch das alte System der Indica/Sativa-Klassifizierung bestehen bleiben.

In einem fortgeschrittenen Cannabismarkt wäre es ideal, die Sorten nach ihrer chemischen Zusammensetzung zu klassifizieren. Doch solange die einfache Handhabung und der Preis im Vordergrund stehen, wird das Etikettiersystem, das wir kennen, wohl noch eine Weile Bestand haben. 

Letztendlich ist es wichtig zu wissen, dass die Begriffe „Indica“ und „Sativa“ nicht immer halten, was sie versprechen. Wer sich wirklich für die Wirkungen einer Sorte interessiert, sollte einen genaueren Blick auf die enthaltenen Cannabinoide und Terpene werfen – oder einfach ausprobieren, was für ihn/sie am besten funktioniert.