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Kategorie
Wissen
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Veröffentlicht am
Sep 02, 2025
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Neue Studie: Flavoalkaloide erstmals in Cannabisblättern nachgewiesen
Analytische Chemiker der Stellenbosch University haben in einer neuen Untersuchung seltene phenolische Verbindungen — sogenannte Flavoalkaloide — erstmals in Cannabisblättern nachgewiesen. Die Forscher identifizierten insgesamt 79 phenolische Verbindungen in drei kommerziell angebauten Cannabis‑Sorten aus Südafrika. Von diesen Verbindungen wurden 25 erstmals in Cannabis berichtet, 16 davon wurden vorläufig als Flavoalkaloide klassifiziert. Die Ergebnisse wurden kürzlich im Journal of Chromatography A veröffentlicht.
Was sind phenolische Verbindungen und Flavoalkaloide?
Phenolische Verbindungen sind eine Klasse pflanzlicher Sekundärstoffe, die für ihre anti‑entzündlichen, antioxidativen und antikarzinogenen Eigenschaften bekannt sind. Innerhalb dieser Gruppe sind Flavonoide weit verbreitet, Flavoalkaloide hingegen gelten als sehr selten in der Natur. Flavoalkaloide sind demnach eine ungewöhnliche Untergruppe phenolischer Stoffe, deren Anwesenheit in Pflanzen bislang kaum dokumentiert war.
Die Analyse von Phenolen in Pflanzen ist anspruchsvoll, weil diese Verbindungen oft in sehr geringen Konzentrationen vorkommen und eine hohe strukturelle Vielfalt aufweisen. Genau diese Herausforderungen hebt Dr. Magriet Muller, Erstautorin der Studie und Analytikerin im LC‑MS‑Labor der Central Analytical Facility (CAF) der Stellenbosch University, hervor.
Methode: Zwei‑dimensionale Flüssigchromatographie kombiniert mit HR‑MS
Für die Untersuchung entwickelte Dr. Muller leistungsfähige analytische Methoden, die umfassende zwei‑dimensionale Flüssigchromatographie (2D‑LC) mit hochauflösender Massenspektrometrie (HR‑MS) kombinierten. Die Methodik war zuvor erfolgreich an Proben wie Rooibos‑Tee, Wein und Trauben getestet worden und sollte zeigen, wie gut sie auch für die komplexe Matrix von Cannabis geeignet ist.
Professor André de Villiers, Leiter der Forschungsgruppe für analytische Chemie an der Stellenbosch University und Hauptautor der Arbeit, betont die Bedeutung der chromatographischen Trennung. Die leistungsfähige 2D‑LC ermöglichte es, Flavoalkaloide von den deutlich häufiger vorkommenden Flavonoiden zu trennen. Diese Trennung war entscheidend, um die seltenen Flavoalkaloide in Cannabis erstmals nachweisen zu können.
Ergebnisse im Detail
- Insgesamt wurden 79 phenolische Verbindungen in den Proben von drei kommerziell angebauten Cannabis‑Sorten identifiziert.
- 25 dieser Verbindungen sind erstmals in Cannabis nachgewiesen worden.
- 16 Verbindungen wurden vorläufig als Flavoalkaloide klassifiziert.
- Die meisten der identifizierten Flavoalkaloide traten überwiegend in den Blättern nur einer der untersuchten Sorten auf.
Ein weiteres auffälliges Ergebnis war die starke Variation der phenolischen Profile zwischen den nur drei untersuchten Sorten. Die Forscher zeigen sich überrascht über das Ausmaß dieser Unterschiede, insbesondere angesichts der bereits bekannten Komplexität von Cannabis: Die Pflanze enthält mehr als 750 bekannte Metabolite.
Bedeutung: Nicht‑cannabinoide Inhaltsstoffe im Fokus
Bisher konzentrierte sich ein Großteil der Cannabisforschung auf die pharmakologischen Eigenschaften der psychoaktiven Cannabinoide wie THC und CBD. Die Stellenbosch‑Studie macht deutlich, dass die nicht‑cannabinoiden phenolischen Verbindungen, die oft als Abfallprodukt der Pflanzenverarbeitung gelten, ein reiches und einzigartiges Profil aufweisen könnten.
Professor de Villiers weist darauf hin, dass dieses nicht‑cannabinoide Phenolprofil aus biomedizinischer Sicht relevant sein kann. Die neu identifizierten Verbindungen erweitern das Spektrum potenziell bioaktiver Substanzen in Cannabis und werfen Fragen zur möglichen medizinischen Nutzung von Pflanzenteilen auf, die bislang wenig genutzt werden.
Wissenschaftlicher und praktischer Kontext
Die Studie ergänzt das Verständnis der chemischen Komplexität von Cannabis. Durch die Kombination hochauflösender chromatographischer und massenspektrometrischer Techniken konnten die Forscher verdeckte Bestandteile sichtbar machen, die in konventionellen Analysen leicht übersehen werden. Die Arbeit zeigt exemplarisch, wie methodische Feinheiten — etwa eine Trennung in zwei Dimensionen — neue Erkenntnisse über die Zusammensetzung pflanzlicher Proben liefern können.
Für Konsumenten und für die Forschungspraxis bedeutet das: Cannabis ist nicht nur Träger von Cannabinoiden. Ein breiteres Spektrum an Phenolen, darunter seltene Klassen wie Flavoalkaloide, existiert in der Pflanze und variiert stark zwischen Sorten und Pflanzenteilen. Solche Erkenntnisse sind wichtig für die weitere Untersuchung von Wirkungen, Nebenwirkungen und potenziellen medizinischen Anwendungen.
Einschränkungen und Ausblick
Die Studie berichtet vorläufige Identifikationen (tentative identifications) vieler Verbindungen, was impliziert, dass zusätzliche Arbeiten nötig sind, um Struktur und Bioaktivität dieser Substanzen abschließend zu bestätigen. Zudem wurden nur drei Sorten untersucht und die Flavoalkaloide traten vor allem in den Blättern einer Sorte auf — das legt nahe, dass Sorten‑, Standort‑ und Gehaltevariationen weiter zu untersuchen sind.
Dennoch etabliert die Arbeit eine analytische Grundlage: Die angewandten 2D‑LC/HR‑MS‑Methoden sind geeignet, seltene phenolische Verbindungen in komplexen pflanzlichen Matrizes zu entdecken und zu trennen. Das eröffnet Perspektiven für weiterführende Studien zur Verbreitung, Chemie und biologischen Wirkung der neu entdeckten Verbindungen.
Fazit
Die Studie der Stellenbosch University liefert den ersten dokumentierten Nachweis von Flavoalkaloiden in Cannabisblättern und erweitert damit das bekannte chemische Profil der Pflanze deutlich über die Cannabinoide hinaus. Mit 79 identifizierten phenolischen Verbindungen — 25 davon erstmals in Cannabis — zeigt die Untersuchung die hohe strukturelle Vielfalt und Sortenabhängigkeit nicht‑cannabinoider Inhaltsstoffe. Methodisch demonstriert die Arbeit, wie leistungsfähige chromatographische Trennungen in Kombination mit hochauflösender Massenspektrometrie neue Einblicke in die komplexe Phytochemie von Cannabis ermöglichen.
Disclaimer: Dieser Text stellt keine medizinische oder rechtliche Beratung dar und ersetzt keine fachliche Beratung.