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Kategorie
Wissen
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Veröffentlicht am
Sep 30, 2025
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Hintergrund und Fragestellung
Anekdotisch berichten viele Cannabisnutzer, CBD mindere die negativen Effekte von Cannabis. Für Menschen mit Schizophrenie gibt es außerdem Hinweise, dass CBD, isoliert verabreicht, psychotische Symptome reduzieren kann. Vor diesem Hintergrund stellen sich Betroffene und Behandler oft die Frage: Macht ein hoher CBD:THC‑Anteil Cannabis „sicherer“, also weniger schädlich für kognitive Funktionen und Psychose-Symptome?
Eine neue randomisierte, doppelblinde, placebokontrollierte Crossover‑Studie von Chesney et al. adressiert genau diese Frage erstmals bei Menschen mit Schizophrenie oder schizoaffektiver Störung, die gleichzeitig eine Cannabis‑Gebrauchsstörung haben.
Studiendesign
- Population: 30 Personen mit Diagnosen von Schizophrenie oder schizoaffektiver Störung und komorbider Cannabis‑Gebrauchsstörung.
- Intervention: Oral verabreichtes CBD in einer Einzeldosis von 1000 mg oder Placebo, jeweils 3 Stunden vor dem Inhalieren von verdampftem Cannabis.
- Design: Randomisiert, doppelblind, Crossover (jeder Teilnehmer erhielt beide Bedingungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten).
- Messgrößen: Primärer kognitiver Endpunkt war verzögertes verbales Erinnern (Hopkins Verbal Learning Test – revised). Psychotische Symptome wurden mit der PANSS (Positive and Negative Syndrome Scale) erfasst. Zusätzlich wurden subjektive Rater für die Drug‑Wirkung und physiologische Parameter (z. B. systolischer Blutdruck) erfasst.
- Pharmakokinetik: Plasmaanalysen für CBD, THC und deren Metabolite inklusive 11‑hydroxy‑THC (11‑OH‑THC, aktiver Metabolit) und 11‑carboxy‑THC (11‑COOH‑THC, inaktiver Metabolit).
Hypothese
Die Studienautor:innen gingen davon aus, dass eine CBD‑Vortherapie die kognitiven Beeinträchtigungen und die Zunahme positiver psychotischer Symptome durch akut inhaliertes Cannabis abschwächen würde.
Wesentliche Ergebnisse
Die Ergebnisse widersprachen den Erwartungen:
- Kognition: CBD‑Vortherapie verschlechterte das verzögerte verbale Erinnern nach Cannabis‑Inhalation. Dies war der primäre Endpunkt der Studie.
- Psychotische Symptome: Unter CBD‑Vortherapie kam es zu einer stärkeren Zunahme der positiven Symptome auf der PANSS.
- Subjektive Effekte: Es gab keine signifikanten Unterschiede in der Selbstbewertung des „Drug feeling“ zwischen CBD und Placebo.
- Vitalparameter: CBD war mit größeren Anstiegen des systolischen Blutdrucks verbunden.
- Pharmakokinetik: CBD‑Vortherapie erhöhte nicht die Plasmaexposition gegenüber dem aktiven Metaboliten 11‑OH‑THC, wohl aber die Konzentration des inaktiven Metaboliten 11‑COOH‑THC. Zudem korrelierte die AUC (Area Under the Curve) der Plasma‑CBD‑Spiegel positiv mit der Verschlechterung des verzögerten Erinnerns und mit der Zunahme positiver PANSS‑Symptome.
Diese Korrelation zwischen Plasma‑CBD und klinischer Verschlechterung unterstützt die interne Konsistenz der Beobachtungen und reduziert die Wahrscheinlichkeit, dass es sich um Messfehler handelt.
Stärken der Studie
Mehrere Designaspekte erhöhen die Aussagekraft der Ergebnisse:
- Zielpopulation: Untersucht wurden Personen mit sowohl einer psychotischen Erkrankung als auch Cannabis‑Gebrauchsstörung – genau die Gruppe, für die die Frage nach CBD‑Schutzwirkung klinisch relevant ist.
- Realistische Exposition: Die Verabreichung über Inhalation bildet die übliche Konsumform von Cannabis gut ab.
- Toleranzkontrolle: Die Studie berücksichtigte mögliche Toleranz durch Repeat‑Dosing‑Sessions, falls Teilnehmende auf niedrigere Dosierungen nicht reagierten.
- Pharmakokinetische Messungen: Die Erfassung von Plasmalevels für Wirkstoff und Metabolite ermöglichte die Prüfung pharmakokinetischer Erklärungen.
Einordnung in den Forschungsstand
Frühere Laborstudien an gesunden Probanden lieferten heterogene Befunde: Einige zeigten, dass CBD THC‑vermittelte paranoide Symptome und Gedächtnisdefizite abschwächen kann; andere fanden keinen Effekt, und wieder andere beobachteten eine Verstärkung von THC‑Effekten durch CBD. Letztere Ergebnisse wurden gelegentlich mit einer Hemmung der hepatischen THC‑Metabolisierung durch CBD erklärt.
Die hier zitierte Studie ist jedoch insofern wichtig, als die Autor:innen pharmakokinetische Daten vorlegen: Die beobachtete Verstärkung der Schäden lässt sich hier nicht durch eine erhöhte Bildung des aktiven Metaboliten 11‑OH‑THC erklären. Damit bleibt der Mechanismus offen.
Offene Fragen und Limitationen
Die Studie wirft mehrere wichtige Fragen auf, die noch nicht beantwortet sind:
- Gruppenunterschiede: Reagieren Menschen mit Schizophrenie oder mit Cannabis‑Gebrauchsstörung anders auf CBD im Kontext von Cannabisexposition als gesunde Probanden? Beide Gruppen zeigen Veränderungen des Endocannabinoid‑Systems, was die Reaktion auf CBD beeinflussen könnte.
- Form und Timing der Verabreichung: CBD wurde oral gegeben und 3 Stunden vor dem Inhalationsereignis verabreicht. Unklar ist, ob andere Verabreichungswege (z. B. inhaliertes CBD) oder andere CBD:THC‑Verhältnisse im Cannabis zu anderen Effekten führen würden.
- Therapeutische Rolle von CBD: Unabhängig von der Frage, ob CBD akute Cannabis‑Schäden mindert, bleibt die Frage offen, ob CBD als Zusatz zu Antipsychotika bei der Behandlung von Basissymptomen Nutzen bringen kann – auch bei Patient:innen mit komorbider Cannabis‑Gebrauchsstörung.
Bedeutung für Konsument:innen mit Schizophrenie
Die Studie liefert eine klare, wenn auch unerwartete Botschaft: Orales CBD vor dem Konsum von Cannabis kann bei Menschen mit Schizophrenie die durch Cannabis induzierten kognitiven Beeinträchtigungen und positiven psychotischen Symptome nicht nur nicht verhindern, sondern möglicherweise verschlechtern.
Vor dem Hintergrund, dass Cannabis an sich für Personen mit psychotischen Erkrankungen ein erhöhtes Risiko für Paranoia und kognitive Einschränkungen darstellt, deuten die Ergebnisse darauf hin, dass der rationale Konsum hoch‑CBD‑haltiger Produkte nicht automatisch Schutz bedeutet. CBD allein schützt offenbar nicht zuverlässig vor den akuten negativen Effekten von THC in dieser Risikogruppe und kann diese Effekte unter bestimmten Bedingungen verstärken.
Fazit
Die randomisierte, placebo‑kontrollierte Crossover‑Studie bei Menschen mit Schizophrenie und Cannabis‑Gebrauchsstörung zeigt, dass orale CBD‑Vortherapie (1000 mg, 3 Stunden vor Inhalation) die akuten kognitiven und psychotischen Wirkungen von inhaliertem Cannabis nicht abschwächt, sondern in dieser Stichprobe verschlechterte Erinnerungsleistungen und stärkere positive Symptome hervorrief. Pharmakokinetische Daten stützen diese Beobachtung und deuten darauf hin, dass eine einfache Erklärung über eine erhöhte Bildung des aktiven Metaboliten 11‑OH‑THC nicht ausreicht. Die Ergebnisse heben die Notwendigkeit weiterer Forschung an spezifischen Patientengruppen, zu Verabreichungswegen und zu CBD:THC‑Verhältnissen hervor.
Dieser Beitrag fasst die Ergebnisse einer veröffentlichten Studie zusammen und stellt keine medizinische oder rechtliche Beratung dar. Bei konkreten Gesundheitsfragen oder Behandlungsentscheidungen sollten Sie Ärzt:innen oder andere qualifizierte Fachpersonen konsultieren.